Meine Lieblingsteekanne ist kaputt gegangen. Sie hat mich treu und lange Zeit begleitet, Megaliter Tee fleißig gebrüht, war ein schönes Geschenk aus vergangen Tagen und von mittlerweilde aus meinem Leben verschwundenen Menschen. Ein Faden durch meine Geschichte. Diese und andere Gedanken drehten sich wie in einem Kaleidoskop innerhalb von einer Sekunde in meinem Kopf und verdarben mir sofort die Laune. Traurig kehrte ich an den Schreibtisch und starrte in das geöffnete Dokument. Kurz darauf überkam mich Erinnerungen. Was habe ich schon im Leben verloren. Menschen, Gefühle, Heimat, Sachen, manchmal sogar Verstand… Ich habe versucht, die Gedanken wegzujagen und je stärker ich die Traurigkeit wegdrängte, desto größer wurde sie. Das Gedankenrad drehte sich schneller und schneller, bald war ich in den heftigsten Episoden meines Lebens. Danke Teekanne, habe ich mir gedacht. Genau dieser Gedanke war meine Rettung. Teekanne, ein mit Erinnerungen behafteter Gegenstand. Behafteter mit meiner Anhaftung. Ich bin kurz in die Traurigkeit eingetaucht, sie zugelassen, abgewartet, bis sie sich nicht mehr abstoßend anfühlte. Was darauf kam, wusste ich schon, ist ja nicht das erste Mal. Das schlechte Gefühl löste sich wie ein Nebelfeld auf und langsam kam warme, heitere Ruhe. Den Trick kenne ich, das nennt man „achtsam mit sich selbst umgehen“. Was ist aber mit der Anhaftung? Kurz nach dem alles wieder in Ordnung war, habe ich angefangen nachzudenken. Anhaftung… Eine Teekanne, die eine Lawine ausgelöst hat. Wie viel Platz in unserem Leben nimmt Anhaftung an? Wenn wir dem modernen Minimalismus folgen, schmeißen wir ja alles, bist auf ganz wenige Gegenstände weg. Gerade so, um nicht nackert durch die Welt zu laufen und irgendwo den Teller abzustellen. Ist es der richtige Weg, um sich von Anhaftungen zu lösen?
Was Minimalismus in jedem Fall bringt ist physicher Raum, unser Lebensraum, der wegen so vieler uns, Menschen, immer kleiner wird. Dennoch wie sieht es mit unserem Innenraum aus? Dort unter dem Fleisch, Knochen, Zellen, ganz tief, da, wo außer uns selbst keiner hineinblicken kann? Na ja, was heißt hier „wir selbst“? SELBST WIR gestatten uns selten den Einblick in unser Inneres, denn alles drum herum ist ja so wichtig – dies machen, darüber nachdenken, die abzulästern. Zum Nachschauen, was in unseren Tiefen so los ist, dafür haben wir nie wirklich Zeit. Deswegen stapeln und stapeln sich die Schichten in unserem emotionalen Keller. Manchmal wachsen sie so hoch, dass sie sogar unsere innere Lichtquelle versperren. Es wird dunkler und dunkler in unserer Seele.
Den Umgan mit negativen Gedanken kriegt man schnell mehr oder weniger hin. Wenn Du weißt, dass sie sein dürfen, soll man nur achtsam genug sein. Unsere Schattenseite hat ihre Berechtigung. Wut darf sein, Traurigkeit darf sein, ein kleines verletztes Kind in uns darf sein. Denn genau das macht uns so einzigartig. Alles, was die Gefühle wollen, ist gesehen und gehört zu werden, nicht mehr. Sonst sind sie wie verstoßene Kinder, die sich im Keller unseres Inneren verharren, sie bahnen sich zusammen und greifen uns spürbar an. Deswegen ist die beste Lösung, eigene negative Emotionen, Gefühle und Charakterzüge einfach lieben zu lernen und sich dafür nicht bestrafen. Eins nach dem anderen akzeptieren. Es werden viele sein, schließlich sind wir nicht seit gestern da und haben einen Korb Erfahrungen zu tragen. Aber unsere Akzeptanz und Mitgefühl sind alles, was unsere Schattenseite breaucht. Je mehr wir sie lieben lernen desto weniger wird sie uns Unruhe und Schmerz bereiten.
Wenn plötzlich etwas ganz Schönes, Liebes, Freudiges, Tolles in unser Leben wiederkehrt, dann lichten sich die Wolken – ach ja, es war einmal doch so unbesorgt! So fröhlich, leicht und schön. Ich will mit allen möglichen Mittelns das schöne Gefühl festhalten und diesmal werde ich es nicht mehr einfach so verlieren! Nein, werde ich nicht! NEEEIN, BLEIB! BLEIB HABE ICH GESAGT! Bleeeeib… bitte… Hallo, das schöne Gefühl? Wo bist du schon wieder… Es ist weg, ich habe nur einen bunten Staub auf den Fingern.
An der Stelle muss ich gestehen, dass die Erkenntnis über Anhaftung an die schönen Erlebnisse für mich sehr ernüchternd und neu war. Gefühlt erleben wir sie viel seltener, als die aus dem anderen Lager. Das stimmt auch, die Psychologie besagt, dass wir positive Erlebnisse und Gefühle sieben mal mehr brauchen, um die negativen auszugleichen. Wie kann man dann das Schöne los lassen, wenn wir eh so erschöpft und abgemagert, was Liebe und Freude angeht, sind? Ich würde behaupten, je leichter Du Dich von dem Glück verabschiedest, desto schneller kommt es zu Dir zurück. Erlebe dieses Gefühl, tauche hinein, spüre es durch den ganzen Körper und lass es los. Spüre die Dankbarkeit dafür und lass sie los. Das Glücksgefühl ist auch ein Teil von Dir, aber dieses Gefühl liebt Freiheit, ist es nicht toll? Ein Teil von dir, was so schön und ungezügelt ist, wie ein freies Tier in der Wildnis. Sei freundlich zu ihm und bereit, es immer zu empfangen. Dann kommt es zu Dir alleine von sich selbst. Lass es einfach los.
Du kannst nicht einen Schmetterling fest in der Faust halten, mach sie auf und er kommt und setzt sich von alleine auf deine Hand.
Übungen zur Arbeit an den Anhaftungen.
Für die Übung sollte eine bestimmte Zeit eingeplant werden, ca. 10-15 Minuten, am Anfang vielleicht mehr, je nachdem, wie geübt Du in der Meditation und in der Muskelentspannung bist.
Setze Dich bequem hin, schalte alles aus, verschaffe Dir die Stille. Es hilft vielen, sich in der Badewanne zu entspannen. Nur bitte nicht im Bett vor dem Schlafen, denn kurz nach der Übung soll man aufstehen und eventuell noch etwas Schönes sich gönen, zum Beispiel einen Tee oder etwas Leckeres und Leichtes zum Essen, was auch immer.
Während Du Dich entspannst, höre wie Du atmest, ohne dabei den Atem zu verändern. Nach ca. einer Minute gehe durch den Körper durch – von oben nach unten. Nimm jeden Körperteil wahr. Dann wandere mit Deiner Aufmerksamkeit von den Füßen wieder nach oben bis auf die Herzhöhe. Atme ruhig und spüre in Dein Herz hinein. Nimm jedes Gefühl, was kommt, wahr und erlaube ihm hier und jetzt zu sein. Alle Stimmen im Kopf sind nur Deine Stimmen, sie sind nur ein Produkt Deines Verstandes, sie kommen und gehen. Sie haben keine Macht über Dich, sie sind flüchtig und nicht materiell. Deswegen lass sie los und erlebe nur das Gefühl. Vielleicht kommen Bilder, Erinnerungen oder Situationen in den Kopf, die das Gefühl verstärken oder Dich ablenken. Lass sie los, bleib nur im Gefühl, tauche hinein. Wenn ein schweres, negatives Gefühl kommt – keine Angst. Ganz im Gegenteil, da ist etwas, was Liebe und nicht in den Keller verbannt werden möchte. Schau es Dir an. Es ist da, aber es wird dir nichts antun, es ist nur ein Teil von dir. Nur im Gefühl bleiben. Irgendwo nebenan fließt der Atem. Ansonsten gibt es nur Stille. Spüre es und lass es da sein. Trauer, Wut – sie machen unsere Tiefe aus, es ist schön, wenn sie entstehen, wir sind im Stande zu spüren, wir sind lebendig. Zerfließe mit ihnen, sei mutig. Nach kurzer Zeit wirst Du merken, dass die schweren Gefühle weg sind. Einfach wie ein Rauch. Unmittelbar danach bekommst Du ein Geschenk, danach kommt etwas ganz schönes, aber ich verrate es Dir nicht. Das erlebst Du lieber selbst.
Wenn Du ein schönes Gefühl erlebst, lass es auch da sein, einfach da sein in allen Facetten. Freue Dich darüber, aber halte nicht fest. Lass es einfach durch Dich hindurch fließen.
Die Dauer der Übung ist am Anfang oft schwer einzuschätzen. Am besten stellst Du Dir einen Countdown mit einem schönen ruhigen Klingelton für 15 Minuten. Wenn Du gerade noch im Arbeiten an den „Kellerkindern“ bist, mach es fertig, ansonsten wirst Du selbst sehr schnell merken, wann es genug ist und wann es noch etwas braucht.
Bevor Du wieder zurück in die Außenwelt zurückkehrst, ist es ganz wichtig, sich die Außenwelt wieder bewusst zu machen. Mache einen schnellen konzentrierten Body Scan, dann nehme die Geräusche um Dich herum wahr. Mache die Augen auf und komme im Hier und Jetzt an.